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Arbeit, Spiel und Anarchie
Patrik Schumacher 1998
Published In: Work & Culture Buero.Inszenierung von Arbeit Herausgeber: Herbert Lachmayer und Eleonora Luis, Ritterverlag, Klagenfurt



Ein oberflächlicher Blick in die wuchernde Managementliteratur der letzten Jahre genuegt, um sich einen Eindruck von der radikalen 'Zeitenwende' in der Theorie (und Praxis) der Wirtschaftsorganisation zu verschaffen. Titel wie die folgenden fuellen die Regale: "Welcome to the Revolution", "Liberation Management: Disorganisation for the Nanosecond Nineties", "Deconstructing Organisations", "Catching the wave", "The One Minute Manager", "Thriving on Chaos" etc.(1)

Es erscheint zunaechst wie eine seltsame Ironie der Geschichte: Die Vordenker der Wirtschaft proklamieren in den 90er Jahren die Organisationsrezepte der 68er Neuen Linken. Aber die Paralellen in den Parolen sind nicht etwa darauf zurueckzuführen, daß die gebeutelten 68er, jetzt endlich in Machtpositionen gerutscht, ihre alten Träume auspacken oder die Wirtschaft sich zynisch und oberflaechlich der alten Schlagwoerter zu Werbezwecken bedient. Im Gegenteil: die alten/neuen Konzepte sind substantiell aus der Dynamik des Wirtschaftsprozesses selbst geboren und bescheren den Managern und Kapitaleignern eher Alptraeume. Man muß umlernen und ein gutes Stueck Selbstherrlichkeit und Sicherheit aufgeben. Ebenso waren die Organisationsformen der Neuen Linken (z.B. die "Autonomia" Bewegung im Italien der 70er Jahre) Resultat eines nicht immer einfachen Lern-und Adaptionsprozesses. Die ersten radikalen management-theoretischen Schriften, auf die sich das meiste der jetzt proliferierenden Literatur zurückführen läßt, entstehen fast zeitgleich mit der entsprechenden linken Literatur und reflektieren die Anfaenge jener umfassenden produktionsorganisatorischen Umwaelzung, die in ihren technologischen, sozio-kulturellen und politischen Bedingungen seit Ende der 80er Jahre unter dem Leitbegriff des Post-Fordismus (2) analysiert wurde. Der linke Versuch Widerstand zu organisieren war in aehnlicher Weise von den neuen gesellschaftlichen Bedingungen des sich abzeichnenden Post-Fordismus herausgefordert wie jeder unternehmerische Versuch, eine im Markt erfolreiche Produktion zu organisieren. Das anarchistisch inspirierte linke Gegenkonzept zum Lenisitischen Konzept einer zentral organisierten revolutionaerer Kaderpartei - das Konzept eines Netzwerks autonomer Zellen - war ein Versuch einem fragmentierten und vielgestaltigen "revolutionären Subjekt" nachzuspüren und auf die Spruenge zu helfen. Als Markt war dieses Subjekt dabei die zentralistischen Buerokratien des Fordismus auszumanoevrieren und fuehrt heute zu einer aehnlichen Flexibilisierung der Strukturen: Die starren Firmenhierarchien und fest verzahnten Abteilungsstrukturen mutieren zu einem offenen Netzwerk semi-autonomer Profitzentren und autonomer Zulieferer. Seit den siebziger Jahren ist das fordistische System - Massenproduktion mittels Fließbandtechnologie; Arbeitsorganisation in eindeutig gegliederten Funktions- und Kompetenzhierarchien; tarifvertraglich garantierter und sozialstaatlich abgesicherter Konsum-standart - in Bezug auf alle drei Dimensionen (Technologie, Organisation, Distribution) in Frage gestellt. Die flexiblen mikroelektronisch gesteuerten Produktionstechnologien des Post-Fordismus (CAD-CAM) haben eine Produktdiversifizierung (in kleinen Serien) moeglich gemacht, ohne die extremen Kosten handwerklicher Arbeit zu verursachen, die vormals jede Abweichung vom Massenprodukt auf den Bereich des Luxuskonsums beschraenkt hatte.
Die Logik des Wettbewerbs verschiebt sich von der Frage der Preiseffiziens innerhalb eines Marktes zu dem Problem der Kreation neuer Produkte und neuer Maerkte. Das hat radikale Konsequenzen für Fragen der Arbeitsorganisation, Firmenstrategie und den Begriff der Arbeit selbst.

Im folgenden moechte ich zwei wesentliche Aspekte einer sich abzeichnenden neuen Konzeption von Arbeit und Arbeitsorganisation reflektieren; Aspekte, die im Milieu der Neuen Linken antizipiert wurden und jetzt den neueren Managementdiskurs dominieren.
1. Die Auflösung des Begriffs der Arbeit im Begriff der Kreativitaet
2. Die Auflösung des Begriffs der Organisation im Begriff der Selbstorganisation
In beiden Aspekten einer antizipierten und in ersten Ansätzen sich real vollziehenden Umwaelzung sozialer Arbeit/Aktivitaet ist eine fundamentale Umdeutung der modernen Definition von Rationalitaet und rationalem Handeln impliziert.
Obwohl auf Begriffe der Neuen Linken und des neueren Managementdiskurses im folgenden immer wieder Bezug genommen wird, lassen sich die darin verarbeiteten, schon fast alltaeglichen Erfahrungen zunaechst auch ohne derartige Referenz reflektieren.


1. Die Auflösung des Begriffs der Arbeit

Was ist Arbeit? Und was ist das Gegenteil von Arbeit? Man mag vermuten, daß für die Mehrzahl der Leser das Lesen dieser oder aehnlicher Lektuere ein latenter Teil des Erwerbslebens ist. Das Gleiche gilt wohl selbst für die Zeitung am Sonntag Morgen und den Austellungsbesuch am Sonntag Nachmittag. Eine Aktivitaet, die ausschließlich der Entspannung dienen wuerde und somit nichts zur beruflichen Aktivitaet und Karriere beizutragen haette, wuerde die meisten von uns nur nervoes machen. Es soll hier aber nicht der Alptraum einer totalen Instrumentalisierung aller Lebensaeußerungen an die Wand gemalt werden. Vielmehr geht es hier darum, die Bedingungen, Logik und Potentiale der vielfach diagnostizierten Grenzverwischung zwischen Arbeit und Pflicht einerseits und Feizeit, Entspannung und "persoenlichem Interesse" anderseits auszuloten. Natuerlich betrifft dieses Phaenomen (noch) nicht alle Erwerbstaetigkeiten, aber die Tendenz ist manifest: Wachstumsbranchen wie Forschung und Kulturindustrie gehen hier voraus.

Irrationale Arbeit? Ein wesentlicher Aspekt dieser tendenziellen Entgrenzung von Arbeit ist die zunehmende Schwierigkeit, in einem zunehmed komplexen und dynamischen gesellschaftlichen Produktionsprozeß, zielgerichtetes Handeln zu definieren und "zu wissen was wir tuen". Aber dieses Wissen scheint Bedingung von "Arbeit" zu sein, obwohl wir ahnen, daß gerade dann, wenn wir genau wissen was wir tuen, wir wahrscheinlich nur durchschnittlich produktiv sind. Zielgerichtetes Handeln laeßt sich schwer aufrecht erhalten wenn sich das Ziel bewegt. Immer oefter treffen Blindschüsse ins Schwarze. Und solche "Zufaelle" werden a posteriori - nachdem das Ziel in den Schuss gelaufen ist - als zielgerichtet und strategisch rekonstruiert. Das bedeutet man versucht aus scheibar chaotischer Erfahrung zu lernen. Und diese "nachtraegliche Planung" von wirtschaftlichen Aktivitäten ist nicht als Geschichtsfaelschung abzuweisen, sondern verdient konstruktive Analyse. Wenn Praxis nicht mehr der Formel der Rationalitaet folgt, dann ist nicht nur die Praxis, sondern vor allem auch die Formel zu kritisieren. Eine solche Kritik wird bereits in den siebziger Jahren in der Managementlehre explizit entwickelt: March & Olsen (3) reagieren auf den schleichenden Aufloesungsprozeß formalisierter Arbeits- und Planungsprozesse mit einer radikalen Kritik scheinbar selbstverstaendlicher und unausweichlicher Begriffe wie Entscheidung, Ziel, Regel und Konsequenz und der damit eng verknuepften Begriffe Freiheit, Zwang, Identitaet und Fortschritt. Vorgetragen als Kritik der seit den sechziger Jahren formalisierten Entscheidungstheorie wird hier, in einem Text der Managementlehre, an wesentlichen philosophischen Grundfesten der Neuzeit und der Moderne gerüttelt. (4)
March & Olsen konstatieren: Moderne Individuen und Organisationen treffen Entscheidungen. Diese Grundtatsache impliziert eine Konsistens des Handelns relativ zu einer vorgeschalteten Zieldefinition. Entscheidungstheorie macht explizit, daß dem Handeln ein Denken vorgeschaltet ist, daß das Handeln einen Zweck verfolgt, daß der Zweck des Handelns sich in Bezugnahme auf einen vorausgesetzen, kohaerenten, ranggeordneten Zielkatalog definieren laesst, und ein Konsistentes Handeln sich an einer Theorie orientiert, die Handlungen mit Konsequenzen verknuepft. Ziele werden dem modernen Menschen a priori abverlangt. Wir verlangen, daß er im Namen von Zielen handelt und diesen (und damit sich selbst) treu bleibt. Intentionalitaet scheint das definierende Moment von Bewußtsein ueberhaupt zu sein. Diese Auffassung von Rationalitaet, Selbstbewußtsein und Identitaet wird heute zu einem laehmenden Dogma. March & Olsen fordern die Manager unserer Zeit auf sich von dem unnachgiebigen Bestehen auf Zielen und formalisierten Zielwegen zu lösen und sich die Realität von Mehrdeutigkeit, Offenheit und Eigendynamik von Projekten und Aktivitäten einzugestehen und von Zielerfuellung auf Zielerneuerung umzupolen.
Die Freiheit der Entscheidung geht heute Hand in Hand mit dem produktiven Zwang des Zufalls. Wir navigieren heute eine soziale Welt, die uns aehnlichen Absurditaeten und Paradoxien aussetzt, wie die Physik des Zwanzigsten Jahrhunderts in Bezug auf Relativitaet und Unschaerfe zu einer neuen Logik zu verarbeiten hatte. Fortschritt ist nicht mehr an jeder Stelle gegen ein starres Ziel zu messen, sondern die Mass-staebe und Skalen haben eine nichtlineare Topologie und bewegen sich frei gegen das zu messende Material. Selbst die Vergangenheit ist nicht mehr das was sie einmal war: das Ruhende und Bekannte. Vielmehr müssen alte Erfahrungen zu immer neuen Lerninhalten gemacht werden. Nur so laesst sich Innovation aus dem Unvorhergesehen schaelen.
Die gesammte ökonomische Wissenschaft dagegen setzt jedoch noch einen starren Rationaklitätsbegriff voraus. Die Wirtschaftswissenschaften, die formalisierte Entscheidungstheorie, sowie die traditionalle Organisationslehre können die reale Ambiguitaet und dialektische Gaerung von Handlung und Zielvorstellung, die Flexibilitaet und das Potential von Kreativitaet und Innovation beinhaltet, nur als Unvollkommenheit, nicht aber als Qualitaet wahrnehmen. Oekonomen, die das Problem der oekonomischen Wissenschaft nicht mehr in der perfekten Koordination von bekannten Produktionstätigkeiten und der daraufhin angelegten Konstruktion formalisierter Equilibria sehen, sondern im Gegenteil darauf bestehen, daß so eine Konzeption einer perfekten Wirtschaft jedmoegliche Innovation theoretisch erstickt, sind bisher die Ausnahme: Brian Loasby (5) knüpft an Schumpeters Begriff der kreativen Destruktion an und versucht einen neuen Begriff eines innovativen Wirtschaftsprozeßes zu entwickeln, der die Wirtschaft als Ganzes dem Wissenschaftsprozeß anzugleichen sucht. Der zugrunde gelegte Wissenschaftsbegriff wiederum basiert auf den Arbeiten von Kuhn und Feyerabend (6), die den revolutionaeren, probenden und kreativen Charakter von wissenschaftlichem Fortschritt betonen. Wissenschaftliche Rationalitaet, so wie sie sich real als sozialer Prozeß gestaltet, läßt sich nicht auf systematisch formalisierte, planbare Verfahren reduzieren. Die Anarchie des Spiels ist hier unverzichtbar.

Wenn man die Labilitaet und "revolutionaere" Entwicklung der eigenen individuellen oder organisatorischen Identitaet ernst nimmt und extrapoliert, dann muß man zu akzeptieren lernen, dass man gleichsam heute im Namen von den noch unbekannten Zielen und Werten von morgen handelt, auch wenn das unser tradiertes Verstaendnis von "logischer" Zeitordnung verletzt. Unser jetziges Handeln sollte immer schon mehrdeutig sein, d.h. in einer Mehrzahl von Szenarien aufgehen können und darüber hinaus produktiv nicht nur im Sinne eines vorgegebenen Ziels, sondern in der Entdeckung und Konstruktion neuer Ziel- und Wertvorstellungen sein. March & Olsen kontrastieren unsere "Theorie der Erwachsenen" mit unserer "Theorie des Kindes", die erlaubt, daß das Kind seine freie Persoenlichkeit, ueber (sanften) Zwang vermittelt, erst entdeckt und entfaltet, indem der Pädagoge es auf Erfahrungen hinleitet, die mit seinen gegenwärtigen Praeferenzen in Widerspruch stehen. Man mag aus diesem Hinweis schließen, dass das Schlagwort vom lebenslangen Lernen auch eine ständige "Persönlichkeitsentfaltung", oder die Faehigkeit sich periodisch neu zu erfinden, beinhaltet. Dies mag zunächst probeweise und "spielerisch" geschehen, im Raum der Narrenfreiheit. So läßt sich das Feld moeglicherweise produktiver Rollen und Projekte abtasten. Für March & Olsen gehört das Spiel, auch das organisatorische Planspiel und spielerische Interaktion innerhalb der Firma, zu den von ihnen proklamierten "Technologies of Foolishness". Die Autoren schreiben unter diesem Titel folgende Leitprinzipien in die Handbücher der Manager: Behandele Heuchelei als kreatives Übergangsstadium, betrachte Erfahrung als (provisorische) Theorie und das Gedaechtnis als Feind. Die gewohnte zeitlich-sukzessive Ordnung von Ereignissen und Erfahrungen ist hier in Frage gestellt(7): Indem wir unsere Ziele und Theorien heute aendern, verwandeln wir rueckwirkend die Substanz unserer Erfahrungen von gestern. Retrospektiv lernen wir so neue Selbstverständnisse.
Was hier bemerkenswert ist, ist daß die Wissenschaft der wirtschaftlichen Organisation - gleichsam die Speerspitze der gesellschaftlich formalisierten Rationalitaet - sich zu solch paradoxen Formulierungen gezwungen sieht und sich der sicheren Formeln entledigen will. In William Berquists "The Postmodern Organisation"(8) wird tastendes, randomisierendes Handeln zu einem unverzichtbaren Kernstück strategischer Rationalität. Eine Entscheidungssituation wird als instabiler, "chaotischer" Zustand begriffen, in dem die Organisation zwischen Optionen oszilliert und ein mehr oder weniger zufaelliger Anstoß den Ausschlag für die weitere Entwicklung geben kann. Die 'Entwicklung' der Organisation ist immer wieder durch solche, nicht mehr deduzierbaren Bifurkationen vermittelt.

Der Begriff des Spiels signalisiert, daß eine Aktivität der strengen Zensur der Rationalitaet - Zielgerichtetheit und Konsistenz - enthoben ist, ohne jedoch voellig ausserhalb jedwedem Sinnzusamenhang zu stehen, wie z.B. kollektive Brainstorming-prozeduren in Wirtschaftskonzernen. Spielerische Aktion bleibt somit prinzipiell integrierbar in Bezug auf strategische Handlungszusammenhänge und soll hier nicht als absoluter Gegenbegriff zu Rationalitaet zu verstehen sein. Man mag hier auch auf die heutzutage kursierenden Interaktionsspiele fuer Manager verweisen. Organisationen lassen sich als Spielkonstellationen entwerfen, gleichsam als spielende Organisationen, ohne daß eine Spielfreudigkeit bei den Mitarbeitern unbedingt vorauszusetzen wäre. Das Spiel ist hier Funktion des Systems. Eine aehnliche Logik unterliegt dem Begriff der Lernenden Organisation des Managementgurus Peter Senge(9).
Ein Ziel mit Spielraum erlaubt zunaechst provisorische Partizipation in Aktivitäten und Zusammenhängen, deren Resultat und wirtschaftliche Ausbeute noch nicht berechenbar sind. In einer Wirtschaft, in der die Profite und der Wettbewerb immer weniger in der Rationalisierung etablierter Produkte, sondern in der Innovation und der Kreation neuer Maerkte liegt, kann Berechenbarkeit nur bedeuten, dass Profite durchschnittlich sind, mit fallender Tendenz und trotz aller scheinbaren Berechenbarkeit mit dem Risiko behaftet, daß das Standartprodukt samt seinem Markt ploetzlich von einer Neuheit ueberrannt wird. Ein gewisser Spielerischer Einsatz von Ressourcen bedeutet die temporaere Suspension von rationaler Rechtfertigung, aber immer auf der Lauer auch wieder "ernst zu machen" und auf einen strategischen Pfad zu stoßen, um hier die gestreuten Kraefte wieder zu sammeln.
Es kann nicht darum gehen von geregeltem Handeln in kreative Willkuer zu verfallen. Was hier zu leisten ist, geht über die Negation linearer Rationalitaet hinaus, und verlangt einen komplexen, dialektischen Begriff von Rationalitaet und strategischem Handeln, der z.B. einen gewissen 'Fehlerquotienten' geradezu verlangt und voraussetzt, der 'nachtraegliche Planung' zulaesst, und immer einen Mindestteil der Ressourcen dem freien Spiel ueberlaesst, der Mehrdeutigkeit gegenueber eindeutiger Optimalität privilegiert, der Widerstand und Reibung geradezu sucht, von produktiven Zwängen weis etc.

Aus meiner Erfahrung als Architekt und Architekturlehrer läßt sich die Logik einer sich abzeichnenden, komplexen, kreativen Rationalitaet beispielhaft skizzieren. Nachdem in den siebziger Jahren der Versuch gemacht wurde, den Architekturentwurf im Sinne entscheidungstheoretischer Verfahren zu formalisieren und in eine funktionale 'Planungswissenschaft' zu überführen, wurde in der zweiten Haelfte der 80er Jahre, zuerst an den Universitaeten in London und New York, der Begriff der 'Planung' von Architektur produktiv ad absurdum gefuehrt. Der Entwurfsprozeß wurde zunaechst systematisch von Intention und Intelligenz - die nur noch zu Vorurteilen faehig schienen - gereinigt und durch eine Serie gedankenloser mechanischer Prozesse ersetzt, die sinnlose graphische Zeichen und Texturen proliferieren. Der aleatorische Formfindungsprozess lauft gleichsam amok und ein Raumprogramm ist dann a posteriori aus den fremdartigen Strukturen herauszulesen bzw. in diese hineinzuzwaengen, wobei die Widerspenstigkeit des formalem Materials Reibungsfläche notwendiger Erfindung wird. Freiheit und Fortschritt sind hier über einen Zwang vermittelt, indem der 'Planer' sich temporär einem willkürlichen Determinationsprozess unterwirft. In der weiteren Ausarbeitung eines neuen Sinnzusammenhangs werden dann einige der urspruenglich arbitraeren Prozeduren und deren formgenerierende Qualitaeten einer Strategie a posteriori einverleibt und gehen dann eventuell in ein strategisch reproduzierbares neues Arbeitsrepertoire ein. So mag ein altes Ziel auf neue Art erreicht werden oder aber Ziel und Weg werden hier zugleich entdeckt. Die urspruengliche Gedankenlosigkeit und Absurditaet der Entwurfshandlung bezeugt, daß dieses neue strategische Repertoire nicht haette "erdacht" werden koennen und einer deduktiv-analytischen Rationalitaet für immer verschlossen geblieben waere.
Aber in wie weit sind wir inzwischen bereit, auch ungezielte Aktivitaet als (notwendige) Arbeit zu respektieren? Ist Rationalitaet Grundvoraussetzung von Arbeit? Das, was einem jetzt als Arbeit gilt und was als Spielerei oder "bloß persoenliches Interesse" erscheint, kann sich sehr schnell umkehren, in einer Zeit, in der sich die meisten Erwerbstaetigen kreuz und quer durch eine Vielzahl diverser Projekte arbeiten - sei es innerhalb einer Firma oder zunehmend als Selbstaendige - anstatt einer geradlinigen Berufslaufbahn zu folgen. Was relevante Informationen und Erfahrungen sind läßt sich kaum mehr voraussehen und abgrenzen.
Was Herbert Lachmayer(10) für das individuelle Lebensprojekt diagnostiziert - das Verschwinden der monosequentiellen Karrieren - gilt in gleicher Weise für Identitaet und Projektion von Organisationen und ist Konsequenz und integraler Bestandteil der durch die Mikroelektronik entfachten, produktionsorganisatorischen Revolution.


2. Die Aufloesung der Organisation in Selbstorganisation

Grundthese aller neuen Ansaetze ist, daß die starren Hierarchien, mit ihrer eindeutigen Funktions- und Positionsverteilung und ihren optimierten Routinen in einer in Bewegung geratenen und sich staendig aendernden, aekonomischen Umwelt nicht mehr funktionieren koennen. Die neuen Forderungen zielen auf Flexibilisierung, Ent-hierarchisierung, tiefe Streuung des Wissens um das Ganze, Selbstdefinition der Aufgaben, Teamarbeit etc. Schon 1963 ahnte der britische Soziologe und Organisationstheoretiker Tom Burns(11), daß "wenn staendig neue und unbekannte Probleme und Herausforderungen auftauchen, definitive und dauerhafte Funktionsdemarkationen unmoeglich werden", und dass "Verantwortungen und Funktionen, und sogar Methoden und Machtkompetenzen ständig neu zu definieren sind" und "die Verantwortung individueller Mitarbeiter so wenig wie moeglich definiert werden sollte, so daß Spielraum zur Selbstgestaltung entsprechend Faehigkeit und Initiative gegeben wird". Und: "Die Information fließt auch lateral und die Kommunikation zwischen Mitarbeitern verschiedenen Rangs aehnelt eher einer Konsultation als einem Befehl." Das waren die ersten Vorstöße gegen die klassische Managementlehre nach einem halben Jahrhundert unangefochtener Gueltigkeit, seit ihre Prinzipien im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts durch Organisatoren wie Henri Fayol (1916)(12) und Frederic Taylor (1912)(13) zum ersten mal systematisch formalisiert wurden: die strikte Funktionsteilung, Zentralisierung aller wesentlichen Informationen und Entscheidungen, klare hierarchische Ordnung mit eindeutiger Subordinationskette und Befehlslinie etc. Laterale Kommunikation ist ebenso ausgeschlossen wie das Überspringen eines Gliedes. Dieses Prinzip beschreibt exakt die 'Baumstruktur', gegen den die radikale Philosophie von Deleuze & Guattari den Begriff des "Rhizoms" (dialektisch) entwickelt. Alles ist eindeutig über das Zentrum verknuepft, über eine eindeutige Abfolge von Subzentren. Querverbindungen sind ausgeschlossen. Dieselben Prinzipien lassen sich ebenfalls aus Max Webers(14) detaillierter Analyse der modernen Staatsbuerokratien (ebenfalls 1916) destillieren: Monokratische, hierarchische Subordination, Spezialisierung etc. Weber betont zusätzlich die Formalisierung der Vorgänge mittels genereller und erschoepfender Regelwerke.
Ein erster Bruch in der Praxis der eindeutigen Kommandolinien wurde in den sechziger Jahren entwickelt und hatte sich in den siebziger Jahren auch praktisch bewährt: Was zunaechst als Pathologie auftaucht, naemlich ein inoffizielles System der Mehrdeutigkeit, d.h. ein System in dem die Subordinationsverhaeltnisse Schnittmengen bilden und die Befehlslinien uneindeutig werden, wird bald darauf, als institutionell geregelte Mehrdeutigkeit, zu einer neuen Organisationsform systematisiert, der sogenannten Matrixorganisation. Hier ist jeder Mitarbeiter simultan in zwei unabhaengigen Organisationssystemen positioniert: in der Abteilungsstruktur und in der Projektgruppe. Dieses Prinzip ist in den siebziger Jahren ein Standart der Organisationstheorie und -praxis geworden, ein erster Schritt in die kreative Schizophrenie, die Deleuze & Guattari in ihrem 'Anti-oedipus' antizipieren.

Inzwischen haben sich die folgenden wirtschafts- und firmenorganisatorische Tendenzen theoretisch durchgesetzt und sind in (widersprüchlichem) praktischem Vollzug begriffen:
a) intern:
- Verflachung der Hierarchien
- Dezentralisierung der Operationen
- Intensive Streuung des Wissens
- Delegation von Autorität und Verantwortung
- kollegialer Kommunikationsstil anstelle von Befehlen
- Befreiung der Kommunikationswege im Computernetz
- Sammlung der kreativen Potentiale der gesamten Belegschaft durch partizipative Strukturen
- Gruppen- und Teamarbeit mit kollektiver Verantwortung
- Hybride Konglomerate anstatt funktional integrierte Großkonzerne
b) intern/extern:
- Das Verwischen der Intern-Extern-Dichotomie
- Angestellte werden tendentiell zu 'Selbständigen'
- 'Outsourcing', 'Franchising', Subunternehmertum
- Leiharbeit
- Paradigma der 'lose gekoppelten Netzwerke'
c) extern:
- verstärkte Interdependenz jenseits des reiner Marktbeziehungen: Metapher des Ökosystems
- Kollaborative Industrieproduktion, Netzwerke
- temporäre strategische Allianzen
- synenergetische Technopolen


Obwohl Demokratisierung nicht unter den, um die Managementrevolution zirkulierenden Schlagwoertern zu finden ist, scheinen viele der Argumente auf Demokratisierung hinzudeuten. Interne Demokratisierung erscheint als die unterdrueckte, treibende Logik der neuen (und zukuenftigen) Produktivitaetsgewinne. Je mehr komplex und informationsbasiert und je mehr forschungs- und innovationsbasiert die Wirtschaft wird, desto weniger kann sie autokratisch verfahren. Aber Demokratie ist hier nicht im Sinne eines demokratischen Zentralismus - ob Raetedemokratie oder parlamentarische Demokratie - zu verstehen, sondern eher im Sinne eines Anarchismus offener, weicher Strukturen der Selbstorganisation.
Die radikalen organisatorischen Paradigmen, die Gilles Deleuze & Felix Guattari(15) in den (späten) siebziger Jahren, im Hinblick auf anti-leninistische, radikaldemokratische Formen der revolutionären Organisation, im Dialog mit der Italienischen 'Autonomia'-Bewegung (16) so eloquent formuliert haben (Rhizom, Plateau, Deterritorialisierung, Nomadologie etc.) scheinen jetzt genau die neuen Paradigmen des Post-Fordistischen Management-establishments zu werden. Die "Baumartige" Kommandopyramide der klassischen Buerokratie mutiert zum rhizomatischen Plateau, wo - wie bei der Guerilla - die Fuehrerschaft in einer permanent sich verschiebenden Multiplizitaet über das Feld verstreut ist und jeder Punkt jederzeit ein latentes Zentrum werden kann. Eine Serie bezeichnender Parallelen läßt sich zwischen der Gegenkultur der 60/70er Jahre und dem Establishment der 80/90er Jahre ziehen:
- Die autonomen revolutionären "groupuscules" finden ihre Entsprechung im Konzept der Gruppenarbeit und in den neuen Konzernstrategien der autonomen Profitzentren.
- Die Rotation der revolutionaeren Fuehrung antizipiert die generelle Verkuerzung von Managervertraegen ("one minute manager") in der Wirtschaft. - Die Ablehnung von Parteidisziplin für eine "freie Zirkulation der Kaempfe" entspringt derselben Problematik wie heute die Dezentralisierung innerhalb der Firma, und die Disintegration der Konzerne in Netzwerke von semi-unabhängigen Firmen
- Das kooperative Element des Anarchismus findet Entsprechung in einem Markt in dem sich Firmen mehr und mehr eher als Teil eines ko-evolvierendes Oekosystems verstehen denn als Einzelkaempfer im wilden Wettbewerb(17).
Diese neue alte Auffassung von Organistion als sich staendig frei re-organisierende, "anarchische" Selbstorganisation ist also der unmittelbare soziale Kontext, der den Begriff der "geregelten Arbeit" in Frage stellt und in Richtung auf Begriffe von Spiel und Kreativitaet hin tendentiell aufloest. So bedingen sich die neuen Begriffe von Arbeit, Organisation und Rationalitaet in dem neuesten Entwicklungsschub des gesellschaftlichen Reproduktionssystems. Politik, Kultur und Alltagsmuster sind hier dynamisch involviert. Die Politik ist allerdings noch weit davon entfernt den spontanen Linksdrall der Entwicklung aufzugreifen und so die hier sich aufbauenden, progressiven Potentiale zu entladen. Die hier ausgewiesene Imitation linker Prinzipien in der Wirtschaft geschieht bisher eher unfreiwillig, halbherzig und widerspruechlich, denn die mineralisierte Klassenstrukturen werden zwar weich und sproede, aber absorbieren die Bewegung bisher ohne Erdrutsch. Was bedeutet also diese unfreiwillige Imitation linker Prinzipien. Mit Sicherheit keine kapitalistische Real-Utopie. Und auch noch keine schrittweise Demokratisierung unter kapitalistischem Vorzeichen, denn die Umsetzung der Parolen bleibt bisher meist in Widersprüchen und Halbheiten stecken. In globaler Betrachtung, nehmen Klassenpolarisierung und Militarisierung in den letzten Jahren eher zu. Positiv und langfristig betrachtet könnten die angedeuteten und partiellen Fortschritte in der Demokratisierung der Firmen- und Arbeitsorganisation bedeuten, daß die Produktivitätsentwicklung vielleicht doch über die Fesseln der Klassengesellschaft hinausweist. Unabhängig von derart unzeitgemäßer Spekulation: Eine neue linke Politik koennte sich als wirkliche Avant-garde erweisen , wenn sie an diese progressiven Ansaetze und Entwicklungen in der Wirtschafts- und Arbeitsorganisation anknuepft und ernsthaft mit ihnen zu spielen beginnt.


Anmerkungen und Nachweise:

1. Cannon, T.: Welcome to the Revolution - Managing Paradox in the 21st Century, London 1996 Ray, M. & Rinzler,A.:The new Paradigm for Business, L.A. 1993 Peters,T. : Liberation Management - Necessary Disorganisation for Nanosecond Nineties, N.Y. 1993 Peters, T.: Thriving on Chaos, N.Y. 1987 Kilduff,M.: Deconstructing Organisations, Academy of Management review 18 Blanchard,K.& Johnson,S.: The One Minute Manager, New York 1982 Bower,J.L.: Disruptive Technologies - Catching the Wave, Harvard Business Review, Jan./Feb.1995

2. Zum Begriff des Post-Fordismus: Schumacher, Patrik, 'Produktive Ordnungen', in ARCH+ Nr.134-135, Berlin Dezember 1996 Ash Amin, Introduction to "Post-Fordism - A Reader", Oxford / Cambridge MA.1994 David Harvey, The Condition of Postmodernity, Oxford / Cambridge MA. 1989 Edward W. Soja, Postmodern Geographies, London, N.Y. 1989

3. March, J.G. & Olsen, J.P., Ambiguity and Choice in Organizations, Oslo1976

4. Die hier formulierten Einsichten in die komplexe Logik post-moderner Erfahrung und Rationalität spiegeln, ohne es zu wissen, die zeitgleichen Einsichten des französischen Post-Strukturalismus - Lyotard, Derrida, Deleuze - wieder, die als epistemologisches Kondensat der Erfahrung der Neuen Linken interpretierbar sind.

5. Loasby, Brian J., Equilibrium and Evolution, Manchester & N.Y. 1991

6. Kuhn, T.S., The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1970 Feyerabend, Paul, Against Method, New Left Books, London 1975

7. Die hier implizierte Faltung der Zeit ist in der Philosophie eine sehr späte Einsicht, die sich mit Heigeggers 'Sein und Zeit' anbahnt, aber erst mit Derrida Ende der sechziger Jahre wirklich durchschlägt.

8. Bergquist, William, The Postmodern Organisation: Mastering the Art of Irreversable Change, San Francisco 1993

9. Senge, Peter, The Fifth Discipline: The Art and Practise of the Learning Organisation, N.Y. 1990

10. Lachmayer, Herbert, ...

11. Burns, T. & Stalker, G.M. , The Management of Innovation, London 1961 alle Zitate aus: Burns, T., Industry in a new age, New Society, Jan. 1963

12. Fayol, H.: General and Industrial Management, Pitman 1949, chapter 4, (Französisches Original 1916)

13.Taylor, F.W.:Testimony to the House of Representatives Commitee, 1912, in: Scientific Management, p.39, Harper &Row 1947

14. Weber,M.: Wirtschaft und Gesellschaft, Teil III, Kap.6, 1916

15. Gilles Deleuze, Felix Guattari, "Mille Plateaux", Les Editions de Minuit, Paris, 1980 , deutsch: "Tausend Plateaus", Berlin 1992

16. Italy: Autonomia - Post-political Politics, Semio-text(e), N.Y.C.1980

17. Moore, James F., The Death of Competition: Leadership and Strategy in the Age of Business Ecosystems, U.K. 1996 end.

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