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back to DIE FUNKTION VON KUNST UND DESIGN IM WIRTSCHAFTSPROZESS 

Die Funktion Von Kunst Und Design Im Wirtschaftsprozess
Patrik Schumacher 1985 - 1995
Analyse der Prägungsphase am Beispiel des Deutschen Werkbundes
Unpublished Manuscript

EINKREISUNG
- Das exportpolitische Programm des DWB
- Die konkrete ökonomische Ausgangssituation
- Die Kehrseite der exportpolitischen Strategie
- Die innenpolitischen Fronten und die politische Ideologie des DWB
- Organisationsform, Mitgliedschaft und Verhältnis zum Staat
- Die organisatorische Arbeit und die konkreten Projekte des DWB

DAS EXPORTPOLITISCHE PROGRAMM DES DWB

Am Ende der "Ersten Umkreisung" habe ich die These formuliert, daß der Weltmarkt, als Ort des Konkurrenzkampfes der damaligen Groflmächte, das eigentliche Aktionsfeld ("Schlachtfeld") des Deutschen Werkbundes war. Daß das bewußt und unverhohlen so war, belegt das folgende Zitat aus der programmatischen Flugschrift Friedrich Naumanns zur Vorbereitung der ersten Jahresversammlung des DWB in 1908. Naumann betrachtet hier den DWB gleichsam als Teil der imperialen  Aufrüstung:
"Was aber der Werkbund als nationales Unternehmen bedeuten kann, bedarf noch einiger Worte. Ich stelle den Werkbund in dieser Hinsicht in Vergleich mit den Bestrebungen, den Gedanken der deutschen Flotte volkstümlich zu machen. ... Der Flottengedanke ist der Ausdruck für die Wendung des deutschen Geistes zur Weltwirtschaft und Weltpolitik. Unser Volk tritt ein in das Zeitalter des erdumspannenden Wirtschaftssystems, in dem die einzelnen Volkswirtschaften nur Teile sind. ... Diesem neuen Zustand muß sich die Politik anpassen. Das ist der Sinn des Flottenvereins. Ihm muß sich aber auch unsere Arbeitsweise anpassen. Das ist der Sinn des Werkbundes."(48)
Derartige Referenz zum Problem der Stellung Deutschlands in der Weltwirtschaft als Motiv der Werkbundinitiative findet man in fast jeder öffentlichen Äußerung des DWB in jenen Anfangsjahren. So bereits in der Rede Fritz Schumachers zur Gründung des DWB (wie oben zitiert) oder zum Beispiel im Vorwort des ersten Jahrbuches von 1912:
"Das vorliegende erste Jahrbuch will besonders den weiten Kreisen der deutschen Industrie und des Kaufmannsstandes Einblick geben in diese für unsere Volkswirtschaft und für unsere Stellung unter den Kulturvölkern so bedeutungsvolle Bewegung. ... Die Entwicklungen der Technik und die Erfordernisse des Weltmarktes bringen immer wieder neue Seiten unserer Aufgabe zutage."(49)
Man braucht nur in die Inhaltsverzeichnisse der Jahrbücher zu schauen, um gewahr zu werden, worum es geht. Da findet man unter anderem (Auswahl):
Jahrbuch 1912:
- Der Werkbund und die Groflmächte der Deutschen Arbeit
- Das Deutsche Linoleum auf dem Weltmarkte
- Die Volkswirtschaftlichen Aufgaben des Deutschen Werkbundes
Jahrbuch 1913:
- Werkbund und Handel
- Das Warenhaus
- Ladeneinrichtungen
- Das Schaufenster
- Die Durchgeistigung der Geschäftlichen Werbearbeit
- Marke und Zwischenhandel

DIE KONKRETE ÖKONOMISCHE AUSGANGSSITUATION

Die deutsche Industrie hatte im letzten drittel des 19.Jahrhunderts viel aufzuholen. Die Zersplitterung Deutschlands in Kleinstaaten hatte die Industrialisierung und die Entwicklung einer modernen nationalen Wirtschaft behindert. "Deutschland war im Kreis der Industrieländer zu spät gekommen und seine Kapitalisten suchten durch rücksichtslose Preisgabe des Gebrauchswertes die Produktion zu verbilligen. ... Die Englische Regierung suchte diese Lage zu nutzen und die deutschen Exportwaren in ihrem Weltreich seit 1887 durch den Zwang zur Aufschrift "made in Germany" abzuwerten."(Junghanns)(50)  Mit Imitationen geringer Qualität ließ sich auf Dauer kein solides Geschäft aufbauen. Dies klingt an in der Antrittsvorlesung, die Herrmann Muthesius 1907, anlässlich der Aufnahme des neu eingerichteten Lehrstuhls für angewandte Kunst an der Berliner Handelshochschule, kurz vor der Werkbundgründung, hielt:
"Nur dadurch, daß England eigenes gab, wurden seine Stoffe, seine Teppiche, seine Möbel in den letzten zwanzig Jahren zu etwas, was auf dem Weltmarkt eine eigene Note darstellte. Der kommerzielle Erfolg maschiert ins Gefolge solcher innerer Werte. ... Die Produktion braucht dann nicht mehr ängstlich Modelaunen nachzuspüren, sie kann den Geschmack diktieren."(51)
 Muthesius war von 1896 bis 1903 in London als Attache' der deutschen Botschaft, sozusagen, um das Erfolgsrezept der britischen kunstgewerblichen Industrie zu erkundschaften.
Die Analyse war klar: Die verspätete deutsche Konsumgüterindustrie mußte versuchen sich aus den Niederungen des bloß immitierenden und deshalb immer zweitklassigen Produktion herauszuheben (going up-market). Daß eine solche Aufgabe als nationale Ehrenrettung darstellbar war und Idealisten auf den Plan rufen würde, ist klar. Idealismus, künstlerische Integrität und Authenzität waren aber ja auch gerade das, was die als Schundproduzenten und "Allerweltskopisten" verschrien deutschen Unternehmen dringend brauchten. Die Lösung: Der Deutsche Werkbund. Im ersten Jahrbuch des DWB von 1912 heiflt es:
"Heute schämen wir uns endlich, von den Fremden die Allerweltskopisten, die Japaner Europas gescholten zu werden. Wir schulden es unserer nationalen Würde, daß wir den Schutt hinwegschaufeln ..."(52)
Aus "Werkbund und Handel" von Friedrich Naumann (Jahrbuch 1913)
läßt sich Folgendes zitieren:
"Der Werkbund wünscht Freiheit vom Vorbilde der franösischen klassischen Kunst und Mode, nicht weil er diese gering schätzt, sondern weil er den Sieg des deutschen Gewerbes nur in der Herausarbeitung unserer geistigen Eigenart begründet sieht."(53) (Bezeichnenderweise ist dieser Artikel in deutschem Schriftbild abgedruckt.) Ansätze zu Bestrebungen dieser Art  - Formierung eines eigenständigen deutschen Stils für den Weltmarkt -  hatte es allerdings schon viel früher gegeben. Herrmann Muthesius beschreibt (in seinem Buch "Stilarchitektur und Baukunst", 1903) wie der in der Reichsgründung mündende deutsch-französische Krieg Anlaß für neue Impulse im Kunstgewerbe war:
"... ein Ereignis, anscheinend äußerlicher Art, aber für Deutschland von universeller Bedeutung ... : der deutschfranzösische Krieg. Er warf in die verworrenen Kunstbestrebungen der Zeit die Flamme vaterländischer Begeisterung. Wie in allen Verhältnissen, so führte er auch in künstlerischen eine Umwälzung herauf: er bewirkte die allgemeine Wiederaufnahme der deutschen Renaissance ... und unter ihrem Einflufl geschah es, dass über ganz Deutschland Kunstgewerbeschulen, Kunstgewerbevereine und Kunstgewerbemuseen gegründet wurden ..." (54)  Das frisch vereinigte deutsche Reich hatte sozusagen zum strategischen Schlag gegen das französische Kunstgewerbe ausgeholt. Auch wenn der erste Versuch einen deutschen Nationalstil zu etablierens scheiterte, die neuen staatlichen kunstfördernden Institutionen waren ein wichtiger Schritt. Neben diesen waren die deutschen Kunstgewerbeausstellungen, deren Dritte 1906 in Dresden in engem Zusammenhang mit der Werkbundgründung steht, Instrumente solch nationaler Bestrebungen. Die Geschichte dieser deutschen Kunstgewerbeausstellungen wird in der Deutschen Bauzeitzung (1906) anlässlich jener dritten Kunstgewerbe Ausstellung in Dresden so gewertet:
"... im Jahre 1876, als München die erste deutsche Kunstgewerbe Ausstellung sah, begann die bewußte und entschiedene Abkehr vom Auslande ... Man strebte mit der Unterstützung der Kraft und Macht des nationalen Gedankens, man schuf vor dem Hintergrunde des neu entstandenen Reiches. "Der Väter Werke" wurde das Losungswort ... Man war nach der Ausstellung der Überzeugung, daß der "Glaube an die nationale Begabung für das Schöne wiederhergestellt" sei  ...  im Jahre 1888, gleichfalls in München die zweite deutsch-nationale Kunstgewerbe-Ausstellung ... Von der "Väter Werke" hatte sich in wenig mehr als in einem Jahrzehnt der Geschmack zum Barock und Rokoko gewandelt. ... Man befand sich auf der deutsch-nationalen Austellung von 1888 mehr in den Fängen des Auslandes, als man es sich gestehen wollte oder konnte. ... so daß es erst der jetzigen Austellung in Dresden vorbehalten war, zur Richterin über die Stilbewegung der letzten zwanzig Jahre zu werden. Sie ist zur Richterin geworden und hat ... der ursprünglichen Kraft deutscher, nationaler Empfindung zu vollem Sieg verholfen."(55)
Der Versuch der Etablierung eines neuen Stils ist ein zu großes Risiko für isolierte Unternehmer. Die Unternehmer  - sich selbst überlassen -  schöpfen besser ihre zweitklassigen Profite aus der Imitation der Franzosen, als sich als Märtyrer für einen erstklassigen orginal deutschen Profit, in spe, zu opfern. Ein Durchbruch zu höherern Ansprüchen bedarf der Staatlich organisierten gemeinsamen Front. Staatlich unterstützter, organisierter Anschub ist hier entscheidend.

Von ersten Erfolgen auf Wirtschaftlicher Ebene berichtet das erste Jahrbuch 1912:
"Die deutschen Geschmacksindustrien, wie einst die französischen und englischen, werden nur dann eine Weltmacht werden, wenn wir zu unserem technischen Geschick, unserem Unternehmungsgeist und unserer Wissenschaft auch einen eigenen reifen Nationalgeschmack einzusetzen haben. Daß solches ... nicht nur Ehre, sondern auch Gewinn bringt beginnt die Handelsstatistik zu beweisen. Die vorzügliche deutsche Ausstellung in Brüssel 1910, auf die der Werkbund und seine Mitglieder einen entscheidenden Einfluss haben ausüben können, hat uns selber überrascht und den Fremden die Augen geöffnet. Schon geben die deutschen Messen davon Kunde."(56) (Zum gesammtwirtschaftlichen Erfolg des DWB läßt sich keine gesicherte Aussage machen. Es wäre wohl auch unmöglich den Einfluß des DWB zu isolieren. Was man mit Sicherheit feststellen kann, ist der besondere wirtschaftliche Erfolg einiger der Mitgliedsfirmen des DWB.)
Hermann Muthesius konstatiert auf der VII Jahresversammlung 1914, in dem er für seine Forderung nach "Typisierung" argumentiert:
"Die Welt wird erst dann nach unseren Erzeugnissen fragen, wenn aus ihnen ein überzeugender Stilausdruck spricht. Für diesen hat die bisherige deutsche Bewegung die Grundlagen geschaffen."(57)
Ernst Jäckh (geschäftsführender Sekretär des DWB) kann in seinem Jahresbericht von 1913/14 (nach sieben Jahren) befriedigt die Rezeption der DWB-Arbeit im Ausland referieren. So weist er zum Beispiel auf einen Artikel in der "Times" hin:
"Die >Times< besprechen die Werkbund-Ausstellung in ihrer Nummer vom 10.März in einem längeren Artikel und weisen auf die Ironie der Tatsache hin, daß die als Kainszeichen gedachte Bezeichnung >made in Germany< im Laufe der Zeiten auf dem englischen Markt und auf dem Weltmarkt eine Bezeichnung der Güte und Zweckmäßigkeit der Ware wurde. ... Dieses Resultat sei die Folge der deutschen kaufmännischen Rührigkeit, namentlich aber der deutschen Gründlichkeit und der deutschen Kunst."(58)
Der Deutsche Werkbund stand nun anscheinend stellvertretend für die Leistungen der gesammten deutschen Konsumgüterindustrie. Es scheint also, als hätte der Werkbund gewisse Erfolge erzielt. Zumindest spricht dafür die Tatsache, daß das konkurrierende Ausland im Gegenzug sich in der Gründung von ähnlichen Organisationen versuchte.(z.B.: Gründung der "Design and Industries Association" 1915 in England.)

DIE KEHRSEITE DER EXPORTPOLITISCHEN STRATEGIE

Wirtschaftlicher Erfolg hat in der Epoche des Imperialismus (eine Epoche, die noch andauert) eine gefährliche Zweischneidigkeit: Er ist auch immer ein nationaler Erfolg und als solcher ein Mißerfolg der konkurrierenden Nationen. Als politische (und militärische) Einheiten stellen die Nationalstaaten den Marktgesetzen der Weltwirtschaft ihre Gewalt entgegen; mittels Zöllen, Einfuhrsperren, Migrationskontrollen, bilateralen Wirtschaftsabkommen ect. Diese politische Gewaltausübung eskaliert immer wiederin ihre militärische Fortsetzung. Diese gefährliche Tendenz kündigt sich im Vorfeld des 1.Weltkrieges beim Deutschen Werkbund deutlich an, wenn Folgendes (vom Sekretär des DWB im Jahresbe­richt 1913/14) als Erfolg gewertet wird:
"Die Frage einer Internationalen Ausstellung in Paris steht zur Zeit so, daß diese Ausstellung als gescheitert betrachtet werden kann. Es ist noch keinerlei Einladung in Deutschland eingetroffen ... Im letzten Ende bedeutet diese französische Besorgnis eine Anerkennung der deutschen Arbeit, insbesondere der Werkbundauffassung."(5´9)
Auch Muthesius diagnostiziert in diesem Zusammenhang triumphierend Frankreichs "Furcht, vom deutschen Kunstgewerbe geschlagen zu werden"(60) in einem Artikel über "Die Zukunft der Deutschen Form". Das Streben nach solchen "Erfolgen" wurde mit nationalisti­schen Parolen angefeuert, die sich zum ersten Weltkrieg hin immer weiter verschärften. (Diese angeheizte Atmosphäre war natürlich nicht auf den DWB beschränkt, sondern durchdrang das gesammte öffentliche Leben.)  In selbigem Artikel über die Zukunft der deutschen Form proklamiert Muthesius:
"Denn groß ist das Ziel, das winkt. Es gilt mehr als die Welt zu beherrschen, mehr als sie zu finanzieren, sie zu unterrichten, sie mit Waren und Gütern zu überschwemmen. Es gilt ihr das Gesicht zu geben. Erst das Volk, das diese Tat vollbringt, steht wahrhaft an der Spitze der Welt; und Deutschland muß dieses Volk werden."(61)
Und Friedrich Naumann eifert (1914 in seinem Vortrag "Werkbund und Weltwirtschaft") es ginge darum "um die deutsche Existenz auf der Erdkugel zu kämpfen."(62) Bei Junghanns findet man dazu noch folgenden Hinweis: "Wie weit der Werkbundgedanke sich mißbrauchen ließ, zeigt das Jahrbuch von 1914, wo deutsche Kriegsschiffe als Beispiele schöner Zweckformen abgebildet und beschrieben waren und unter diesem ästhetischen Deckmantel für den kostspieligen Flottenbau und die Aufrüstung warben."(63)
 Von Mißbrauch ließe sich da allerdings nur dann sprechen, wenn der Werkbundgedanke nicht schon von Anfang an mit den Zielen der deutschen Flotte identisch gewesen wäre. Es ist keine Polemik zu sagen, die (Kunst)-Politik des Deutschen Werkbundes sei im Ersten We­ltkrieg militärisch weiterverfolgt worden. Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Clausewitz hat mit dieser Formel erklärt was Krieg ist. Man kann diese Formel auch umkehren, um herauszuheben wohin imperialistische Politik führt, inklusive Kulturpolitik.
 Am Ende blieb dem Werkbund nichts, als den brutalen, für die Monopolprofite gefochtenen Krieg zu verklären, den Blutzoll des Volkes in einen Heldentod umzumünzen und die Kriegsgräber zu gestalten. Kriegsgräber, Grabzeichen und Friedhöfe sind das einzige Thema des DWB-Jahrbuches 1916­17, "den Ruhenden zu Ehre, den Lebenden und künftigen zum Vorbild"(64).

DIE INNENPOLITISCHEN FRONTEN UND DIE POLITISCHE IDEOLOGIE ­DES DEUTSCHEN WERKBUNDES

Die neue (oben beschriebene) sich zuspitzende weltwirtschaftliche Lage (Imperialismus) geht hervor und steht in Wechselwirkung mit Fortschritten und Umstrukturierungen innerhalb der einzelnen nationalen Wirtschaften. Diese Umstrukturierungen wurden als politische und ideologische Konflikte auch öffentlich ausgetragen.
Junnghanns charakterisiert die damalige innenpolitische Konstellation in Deutschland folgendermaßen: "In Deutsch­land stärkte der Aufschwung der Industrie die wirtschaftliche Kraft und das Selbstbewußtsein des Bürgertums gegenüber dem feudalen Junkertum, das als großer Grund-, Bergwerks-, und Hüttenbesitzer gemeinsam mit den bürgerlichen Repräsentanten der rheinisch-westphälischen Montanindustrie seit 1848 die politische Macht innehatte und als "konsevativer Block" die gesamte Gesellschaft in längst überholten Formen festhielt."(65)  Gegenüber der Darstellung Junghanns möchte ich hier betonen, daß die Macht des "konservativen Blocks" erst 1878 etabliert wurde, als Bismarck, unter dem Druck des von der Großagrar- und Schwerindustrie dominierten Centralverbandes Deutscher Industrieller, mit Hilfe des Zentrums und der Konservativen Partei eine politische Wende zur Zollpolitik durchsetzte. Dagegen waren die für den Freihandel eintretenden, aus der Revolution von 1848 hervorgegangenen Liberalen seit 1862 stärkste Kraft im preußischen Parlament und bis 1878 staatstragend im Deutschen Reichstag. Die mit der politischen Wende 1878 einhergehende antiparlamentarische Verfassungs­revision  -  Änderung der Wahlgesetze, Verlängerung der Wahlperioden, Gesetz über den Kriegszustand und die Sozialisten­gesetze, sowie die Auflösung des Reichstages und der allgemein verstärkt >bonapartistische< Regierungsstil Bismarcks - , war nicht, wie Junghanns' Darstellung suggeriert, ein Ausdruck längst überholter gesellschaftlicher Formen, sondern bestimmt durch eine ganz neue wirtschaftliche Kräftekonzentration, namentlich auf der Basis des rapiden Konzentrations- und Organisationsprozeßes des Indstrie- und Bankenkapitals (vgl. Kapitel "Monopolisierung" und "Exkurs:Imperialismus"). Teil dieser Tendenz zur Organisation der Wirtschaft war z.B. die Gründung des Centralverbandes Deutscher Industrieller CVDI 1876. Das Pendant der Bildung derartiger Wirtschaftsverbände, die immer direkter auf den verschiedenen Verwaltungsebenen die Politik mitbestimmten, war die zunehmende staatliche Reglementierung der Wirtschaft (besonders nach 1878). Die Macht der großen Kapitaleinheiten wurde mehr und mehr zur Staatsmacht und konnte so die Register staatlicher Gewalt für ihre spezifischen Wirtschaftsinteressen ziehen. Diese waren jedoch freilich nicht auf demokratischem Wege definiert. So wurde den kleineren und mittleren Gewerbetreibenden nicht nur im Markt selbst der Garaus gemacht, sondern sie verloren auch mehr und mehr die Möglichkeit der politischen Einflußnahme auf den durch den Staat definierten Rahmen, in welchem sie um ihr wirtschaftliches Dasein kämpften. "Die Parteien wurden zugunsten der Produzentenverbände beiseite geschoben, die Wahlen als Sachplebis­zit für die Regierungspolitik inszeniert,  ... (um für) die Politik Bismarcks eine eigene Legitimationsbasis gegen ein renitentes Parlament (zu) schaffen."(Michael Stürmer)(66) Der Konzentrationsprozeß des Kapitals ist dabei der Basisprozeß. Der Konflikt zwischen Schwerindustrie und Fertigwarenindustrie (den Junghanns anspricht) entstand dabei nicht als prinzipieller, unüberwindbarer, sondern als bloß vorübergehender, weil die Kapitalkonzentration sich in ersterer früher vollzog.
Daß dieser Konflikt sich gesellschaftlich im Gegensatz Aristokratie - Bürgertum darstellt, ist historisch zufällig bzw. unwesentlich - beruht doch auch die Macht der Nachkommen der feudalen Aristo­kratie nur auf ihrem Kapital, hier ursprünglich in der Form von Ländereien und Bergwerken. Die von Jung­hanns benannten "feudalen Junker" waren eben nicht mehr im historisch-wissenschaftlichen Sinne feudal. Aber der Pseudo-feudalismus der bestimmenden Teile der deutschen Wirtschafts-elite war im Vergleich zu England und Frankreich ein Spezifikum der verspäteten Industrialisierung Deutschlands, mit dem Resultat des "bizarren Anachronismus"(67) der Herrschaftsstruktur des 2.Deutschen Reiches. Nicolaus Sombart spricht von einer "auf die monarchische Spitze hin straff gegliederten aristokratischen Kaste" und erklärt: "Ihre ökonomische Basis war der Großgrundbesitz. Wo die "Industrialisierung" nicht vom agrarischen Großgrundbesitz ihren Ausgang nahm, führte sie automatisch zum Landerwerb der erfolgreichen Industriellen, wie im Saarland und Ruhrgebiet. Man muß freilich auch festhalten, daß ganz generell die Organisation der Produktionskräfte, die Wirtschaftsentwicklung im Reiche, ganz anders als in England und Frankreich, im wesentlichen von dieser sozialen Spitze her stattgefunden hat. Das "know-how" der Industrialisierung, Wissenschaft und Technologie wurde fix und fertig aus dem Ausland (England) importiert und in die hierarchischen feudalen Strukturen zu deren Gewinn und Stärkung eingebaut. ... Alle Versuche von seiten der Bougeoisie und der Arbeiterschaft, diejenigen politischen Institutionen zu entwickeln, die den Erfordernissen der Industrialisierung besser entsprochen hätten - die gesellschaftlichen Verhältnisse also den neuen Produktionsverhältnissen anzupassen -, wurden von der etablierten Führungsschicht ... zynisch abgewehrt."(68)
Obwohl der besonders ausgeprägt "aristokratische" Charakter der deutschen Entwicklung zum modernen Industriestaat hier verständlich wird, wird hier dennoch, wie bei Junghanns, das Spezifische der Phase des Monopolkapitalismus nicht gewürdigt. Diese Phase hat auch in England zur Verstärkung des "monarchischen Prinzips" geführt. So wurde erst im Zeitalter des Imperialismus eine alte, verstaubte Queen Victoria wieder zur herrschaftlichen Gallionsfigur aufgeputzt. Umgekehrt hatte Bismarck das neue Deutsche Reich ursprünglich auch auf der sozialen Basis des liberalen Bürgertums aufgebaut, in Zusammenarbeit mit der National-liberalen Partei und auch gegen die in der Konservativen Partei organisierten altständischen Kräfte.(69)
Die besagte Monopolisierung der Großagrar- und Schwerindu­strie, d.h. der Rohstoffe, verstärkte natürlich auch für die Fertigwarenindustrie  - wegen der Verhandlungsvor­teile der Großen gegenüber den Kleinen beim Einkauf -  die ohnehin vorhandene Tendenz sowohl zur Konzentration, als auch zur verbandsmäßigen Organisation. Als Vertretung ihrer spezifischen Interessen bildete sich 1895 der Bund der Industriellen BdI und 1902 der Verband Sächsischer Industrieller unter der Führung Stresemanns.
Daß besagter Konflikt auch Anfang des neuen Jahrhunderts noch nicht ausgestanden war, zeigt ein unten angeführtes Zitat aus Friedrich Naumanns "Die Kunst im Zeitalter der Maschine" von 1904. Spätestens 1905 jedoch  - angesichts der russischen Revolution und angesichts einer bedrohlich an Gewicht gewinnenden SPD (1871 noch 3,2%, 1903 bereits 31,7% der Stimmen) -  verlor dieser Konflikt auf politischer Ebene an Bedeutung. Zudem wurde die gesammte Bourgeoisie durch ihr gemeinsames Interesse an der imperialen Expansion vereinigt.
Eine Reihe von Anhaltspunkten darüber, wie und wo der Deutsche Werkbund in diesem Kräftespiel sich einschaltet, findet man in den vielen öffentlichen Äußerungen Friedrich Naumanns. Der liberale Reichstagsabgeordnete Naumann war nicht nur wesentlich an der Gründung des DWB beteiligt; er gab ihm auch den umfassenden ideologischen Rahmen. Naumann hatte die künstlerische Produktgestaltung  - zu der er übrigens auch die Architektur zählte, da er die baldige Industriaslisierung der Bauindustrie voraussah -  als wesentlichen Faktor des wirtschaftlichen Erfolges der höherwertigen Fertigwarenindustrie gesehen und sah diesen Industriezweig wiederum als den eigentlich zukunftsträchtigen, besonders im Hinblick auf den unausweichlichen Wettkampf der führenden Industrienationen. Eine sehr klare und kondensierte Formulierung der Einsichten und Auffassungen Naumanns, sowie seine  politische Parteinahme, findet sich in seinem Buch "Die Kunst im Zeitalter der Maschine"(1904). Hier ist sozusagen die Ideologie des Werkbundes vorformuliert. Wie gesagt bezieht sich Naumann hier explizit auf besagten Konflikt zwischen Fertigwaren- und Schwerindustrie. Außerdem wird deutlich, daß Naumann versucht der Sozialdemokratie den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er suggeriert, mit und nur mit der von ihm propagierten imperialistischen Politik sei sozialer Fortschritt für alle (Deutschen) erzielbar:
"Je mehr wir uns der Qualitätserzeugung zuwenden, desto besser wird es um die Durchschnittshöhe der deutschen Menschen stehen. Hier ist der Punkt, wo Kunst und Handelspolitik und Sozialpolitik sich berühren. Natürlich kann ich jetzt nicht mitten in der ästhetischen Erörterung alle Gründe darlegen, warum für uns Deutsche in der gegenwärtigen Geschichtsperiode alles auf Gewinnung auswärtiger Märkte ankommt. ... Wir kaufen Stoffe und verkaufen Arbeit dafür, und die Menge der Stoffe die wir erlangen, hängt davon ab, wie hoch man draußen in der übrigen Welt unsere Arbeit bezahlt. Die Menge der Stoffe, die wir einführen, das ist aber der Ausgangspunkt jeder Hebung der Lebenslage der Massen. Die Vorbedingung aller sozialen Fortschritte ist ein noch viel stärkerer Import. Um diesen zu kaufen müssen wir Arbeit liefern, bei der nicht bloß die nackte Arbeit an sich bezahlt wird, sondern wo Geist, Geschmack, Form, Farbe, Stil bezahlt wird. An billiger Massenarbeit ist nichts zu verdienen. Die muß auch gemacht werden, aber mit deutschen Kräften kann man auch besseres leisten. Die geringen Arbeiten nehmen früher oder später halbgebildete Völker an sich. Was tun wir dann? Dann sind wir entweder ein Volk, dessen Stil sich in der Welt durchgesetzt hat, oder wir hungern mit den Orientalen um die Wette, nur um zu sehen, wer die billigsten Massenartikel aus Fleisch und Blut und Eisen herauspressen kann. Den Spielraum des Lebens, den wir unserem Volke von Herzen wünschen, können wir ohne Erhöhung seiner künstlerischen Leistungen gar nicht erlangen. ... Diese meine Auf­fassung mag etlichen, die den wirtschaftspolitischen Kämpfen ferner stehen, als etwas Selbstverständliches erscheinen, sie ist es aber keineswegs. Die sogenannte schwere Industrie hat den Grundsatz, die Herstellung von Halbfabrikaten zum Kern des deutschen Wirtschaftslebens zu machen, und die Syndikate dieser Industriearten verkaufen billiger an das Ausland als an das Inland, drängen also gerade die leichtere Fertigfabrikation, in der sich Kunst und Geschmack am meisten auswirken können, über unsere Grenzen hinaus. Das ist die heute herrschende Richtung, die ihren Sieg über die Fertigfabrikation im Kampf um die Zölle befestigte. ... Sie sehen nun, daß der Kampf um die Kunst im Reichstag nicht nur dann auf der Tagesordnung steht, wenn gerade über sezessionistische Maler debattiert wird. Er wird bei ganz anders gearteten Fragen in aller Stille mitgekämpft."(70)
Der Deutsche Werkbund ist sozusagen  - mit Friedrich Naumann als genialem Führer -  Ausdruck eines Dreifronten-Krieges des aufstrebenden, exportorientierten Bürgertums: gegen die internationale Konkurrenz, gegen die Gefahr des Sozialismus und gegen die "konservativen" innenpolitischen Machtverhältnisse bzw. die politisch überlastige Schwerindustrielle "Aristokratie". Als vierte Front könnte man noch das Handwerk (bzw. den noch handwerklichen Teil des Kunstgewerbes) nennen, wenn dieses nicht schon ohnehin in den letzten Zügen gelegen hätte. Immerhin war es, was die Luxusgüterproduktion anging, noch nicht ganz zu vernachlässigen. Da galt es dem Großkapital noch einen Markt zu erschließen. Es ist klar, daß der Werkbund hier Partisan der Industrialisierung durch große Firmen war. So lautet die neunte der zehn berüchtigten Thesen Muthesius' auf der VII.Jahresver­sammlung:
"Für einen etwaigen Export ist das Vorhandensein leistungsfähiger und geschmacklich sicherer Großgeschäfte die Vorbedingung. Mit dem vom Künstler für den Einzelfall entworfenen Gegenstand würde nicht einmal der einheimische Bedarf gedeckt werden können."(71)
Wie sich diese Frontstellungen in den Idealen (Ideologien) des DWB abbilden, wird in den Kapiteln zur "Ideologiekritik" erörtert.
Was die Frontstellung zur Arbeiterbewegung anging, so war diese ambivalent. Zum einen war klar, daß Naumann (im Namen der Klasse, die er repräsentierte) den Sozialismus fürchten mußte. Er versuchte diesen gleichsam "weich" aufzufangen. So schreibt er in der Programmschrift zur ersten Jahresversammlung des DWB 1908:
"... was bedeutet in der Praxis das Wort Sozialismus, wenn man ihm sein theoretisches Kleid hinwegnimmt ... Was will oder sucht die Masse, die dem Sozialismus folgt? ... einerseits ideale Güter - wie Bildung, Erziehung, ... und andererseits materielle Güter, wie bessere Wohnungen, ... , stärkende Ernährung ... . Beides aber setzt voraus, das wir uns den Qualitätsgewerben immer mehr zuwenden ... denn nur durch sie erlangen wir die Kaufkraft, die uns erlaubt, unsere Volksmasse gut zu versorgen."(72)
DWB Gründungsmitglied Schumacher sah in Naumanns Ideen "das sicherste Mittel gegen die zersetzenden Tendenzen des Sozialismus."(73) 1899 hatte Naumann sogar versucht den reformistischen Sozialdemokraten Georg von Vollmer zur Spaltung der Partei zu bewegen.
Zum anderen  - und deshalb war das Verhältnis des DWB zur Arbeiterbewe­gung kein eindeutig negatives -  glaubte Naumann (und der DWB) nicht nur an die Möglichkeit, die materielle Lage der Arbeiter über den Exporterfolg zu heben, sondern er sah klar, daß, im Gegensatz zur Schwerindustrie, bei der hochqualifiziert arbeitenden Fertigwarenindustrie eine gewisse Hebung der materiellen und geistigen Lage der Arbeiter geradezu Voraussetzung ist:
"Deshalb stellt sich die ganze soziale Frage bei jenen elementaren Industrien ganz anders dar, als bei den feineren Gewerben ... Die Qualitätsarbeiter können nicht beliebig durch eine unbegrenzte Reservearmee ersetzt werden."(74)
Hier gab es also einen weiteren Konfliktpunkt mit den "Konservativen", die einen harten Unterdrückungskurs gegen die Arbeiterbewegung verfolgten. Naumann hingegen sah die Notwendigkeit mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten. Diese aber sollten ihre Ausrichtung auf die Sozialdemokratie aufgeben und auf der Basis eines Betriebs- und Nationalpatriotismus in der Profibilität der Betriebe die Grundlage und Grundbedingung ihrer eigenen Prosperität erkennen.
Junghanns hat aber recht, wenn er Naumanns Ideologie so kommentiert: "Der Kampf der Arbeiterschaft gegen die Unternehmer um höhere Löhne und soziale Sicherheit zielte nach dieser Auffassung also in die falsche Richtung. Das Pferd schien beim Schwanz aufgezäumt."(75) Naumann glaubte an die Möglichkeit einer Interessensgemeischaft zwischen Unternehmertum und Arbeiterschaft auf nationaler Basis. Naumanns Segnung der Arbeiter mit wirtschaftlicher Prosperität war immer gönnerhaft von oben herab angelegt  - "unsere Volksmasse gut zu versorgen" ect. An eine Mit- oder gar Selbstbestimmung der Arbeiter war nie gedacht. Naumann identifizierte das Interesse der Nation von vorne herein mit dem der Magnaten der technisch und künstlerisch fortgeschrittenen Fertigwarenindustrie und proklamierte ganz offen:
"Die Politik des Industriestaates wird Interessenpolitik einer Klasse sein, aber zugleich selbst allgemeine Politik, weil mit dieser einen Klasse der Aufstieg der übrigen verbunden ist."(76) Genau das ist auch heute noch der Kern der Politik der modernen Industriestaaten, wenn auch in den heutigen "Demokratien" nicht mehr so offen von Interessenpolitik einer Klasse gesprochen wird. Und diese Klassenpolitik hat ihre objektive Basis in der imperialistischen Weltordnung, die diese Politik zur einzig erfolgversprechenden und notwendigen macht. Politik ist eben keine bloße Ansichtssache, etwas, das man sich nach belieben aussuchen könnte. Daran ist bis jetzt jeder Versuch sozialdemokratischer Kompromißpolitik gescheitert.
Immernoch ist der Hinweis auf die internationale Wettbewerbs­fähigkeit das schlagendste Argument gegenüber den Forderungen der Arbeiterschaft und dieses Argument ist wie gesagt ein im Kern objektives. Junghanns spricht in Bezug auf Naumann von einem "aus Halbwahrheiten und Illusionen zusammengesetzten Ideengebäude" und von "scheinbarer Logik", ohne jedoch anzugeben, warum Naumanns Logik eine bloß scheinbare und seine Wahrheiten bloß halbe Wahrheiten oder gar Illusionen waren. Naumann  - so Junghanns -  "lenkte vom Interessengegensatz zwischen Arbeiter und Unternehmer ab"(77). Aber könnte man nicht umgekehrt sagen: Naumann hat ein objektiv gemeinsames Interesse des deutschen Arbeiters und des deutschen Unternehmers gesehen: Die Eroberung des Weltmarktes?
Zunächst muß man dazu relativierend anmerken, daß auch bei noch so großem Welterfolg, die Arbeiterschaft sich jeden Zipfel der Beteiligung daran erst durch einen organisierten Kampf hat erobern müssen. Zweitens kann eine noch so große Exportoffensive der deutschen Industrie die deutsche Arbeiterschaft nur sehr eingeschränkt davor bewahren, "mit den Orientalen um die Wette zu hungern", denn der niedrige Lebensstandart der "Orientalen" war (und ist) letztlich  - wegen der Mobilität des Kapitals -  die Bremse für sozialen Ausgleich im entwickelten Industriestaat selbst. (Der Imperialismus jener Jahre zeichnete sich durch einen enormen Kapitalexport aus, gefördert durch imperiale Expansion). Trotz des gemeinsamen nationalen Interesses bleibt der Klassenkampf unumgänglich, selbst für eine reformistisch gewendete Sozialdemokratie: Es bleibt zu verhandeln, wie das erwirtschaftete Produkt zwischen Kapital und Arbeit zu verteilen ist.

Die eigentlich entscheidende Relativierung der Logik der Naumannschen Einsichten wird allerdings erst sichtbar aus einer, die Nationalstaatlichen Grenzen in Frage stellenden, sozialistischen Perspektive. Aus dieser Perspektive, die Naumann glaubte "theoretisch entkleiden" zu können, ist Naumanns Wahrheit tatsächlich nur eine eingeschränkte, relative (halbe) Wahrheit, die nur gilt, solange man die Spaltung der ökonomisch-faktischen  Weltgesellschaft in (National-)Staaten und deren mörderischen Freistilkampf auf dem Weltmarkt unhinterfragt, als unüberwindbar gegeben, hinnimmt.
Das fatale an Naumanns Erfolgskurs ist, daß Erfolg dabei als nationales übertrumpfen der anderen Nationen begriffen wird (und so begriffen werden muß) und somit der eigene Erfolg zugleich der Mißerfolg der Rivalen ist. Dies wird von Naumann auch explizit reflektiert, daß "der Fortschritt eines Volkes vom Rückgang eines anderen abhängig ist." (78)
Die unter dieser Bedingung erzielbaren "Erfolge" wurden in zwei Weltkriegen systematisch zu ihrer absurden Konsequenz geführt. Heutzutage geht dieser imperialistische "Erfolg" mit der fortschreitenden Verelendung der dritten Welt einher. Die rationale Forderung, der faktischen Globalisierung der Wirtschaft einen global einheitlichen und demokratisch verbindlichen poli­tischen Rahmen zu geben bleibt allerdings zur Zeit, wegen des enormen Ungleichgewichts der Kräfte, eine Utopie.

ORGANISATIONSFORM UND MITGLIEDSCHAFT

Der Deutsche Werkbund begann als ein ins Vereinsregister eingetragener Verein mit 24 Gründungsmitgliedern: 12 "Künstler"(Architekten und Designer) und 12 Firmen. Die Mitgliedschaft betrug:
   1908:    491
   1913:  1319
   1915:  1972.
Die Mitgliedschaft konnte nicht durch Selbstanmeldung erlangt werden, sondern wurde durch Einladung durch den Vorstand ver­liehen. Überhaupt lag die Initiative beim DWB ganz bei dem alle drei Jahre durch Wahl bestätigten Vorstand. Die Mitgliedschaft war in Ortsgruppen gegliedert, die jedoch ohne Rechte blieben. (Die Zahl der Ortsgruppen stieg 1912 - 1914 von 19 auf 45.) Ansprechpartner der Ortsgruppen waren die dem Vorstand verpflichteten Ortsvertrauensleute. Die allgemeinen Richtlinien wurden auf den Jahresmitgliederversammlungen festgelegt.
Erster 1.Vorsitzender war der Architekt Theodor Fischer (1907-1909). Muthe­sius war 2.Vorsitzender. Ab 1909 war dann der Silberwarenfabrikant Peter Bruckmann aus Heilbronn 1.Vorsitzender (1909-1919 durchgängig 1.Vorsitzender und bis 1934 fast ohne Unterbrechung Erster oder Zweiter Vorsitzender). Bruckmann war politischer Anhänger Naumanns. Im Wahlkreis Heilbronn gewann Naumann 1907 sein Reichstagsmandat. Naumann selbst war Mitglied des Vorstands. Die wichtige Position des geschäftsleitenden Sekretärs wurde jeweils mit Naumann-adepten besetzt. Der erste Sekretär des DWB war Wolf Dohrn. "Dohrn hatte den Vorzug, durch seine begüterte Familie bei dieser Tätigkeit auf beste Verbindungen zur Hocharistokratie und zur Finanzwelt sich stützen zu können."(79)  Dohrn war Gefolgsmann Naumanns bei den Reichstagswahlen 1903 gewesen, bei denen Naumann mit seiner 1896 gegründeten National-Sozialen Partei antrat. Nach einem kurzen Intermezzo von Alfons Paquet, der 1910/1911 Dohrns Assistent und ebenfalls Naumannanhänger war, wurde Ernst Jäckh Sekretär. Jäckh hatte Naumanns Wahlkampf 1907 als politischer Redakteur einer Heilbronner Zeitung unterstützt. Jäckhs Qualifikation war einzig seine überzeugte Anhängerschaft der politischen Ziele Naumanns. Seine Jahresberichte  - aus denen bereits unten zitiert wurde -  sind dahingehend aufschlußreich. Eine innere Beziehung zu den im engeren Sinne künstlerischen Zielen des Werkbundes läßt sich nicht ausmachen. In seiner Amtszeit  - zu deren Beginn er erst einmal die Ges­chäftsstelle des DWB nach Berlin verlegte "aus der etwas abgelegenen Idylle (Hellerau) in den einflußfähigen Mittelpunkt deutscher Organisa­tionsarbeit" (Jahresbericht 1912/13)(80) -  wurde der DWB um eine wesentliche Kategorie von Mitgliedern erweitert: Industrieverbände und Handelskammern; darunter die Handelskammern Berlin, Köln, Frankfurt, der Deutsche Handelstag, Export­verband Deutscher Qualitätsfabrikanten, Verband Deutscher Rekla­mefachleute. Umgekehrt war der DWB vertreten und hat mitgewirkt bei u.a. dem Bund der Industriellen BdI, dem Deutsch-Österreich-Ungarischen Wirt­schaftsverband, dem Deutschen Volkswirtschaftlichen Verband, dem  Deutsch-Amerikanischen Wirtschaftsverband und dem Deutsch-Südamerikanischen Institut. Jäckh schreibt im Jahresbericht 1913/14:
"Die Machterweiterung des Deutschen Werkbundes ist auch durch die Verbände und Kammern vermittelt, die als Förderer dem Werkbund sich anschließen."(81)
Mit den Gewerkschaften oder deren Arbeiterbildungsvereinen wurden dagegen keine Beziehungen gepflegt. (Diese für das Programm der "Veredelung der gewerblichen Arbeit" zu gewinnen, kam niemandem in den Sinn, trotz aller Parolen über die Wichtigkeit der Bildung des Arbeiters, über "Arbeitsfreude", und  "Betriebspatriotismus".)
Der Werkbund band sich immer enger an das Zentrum der organisierten deutschen Exportwirtschaft. Damit im Einklang steht, daß die im DWB sich künstlerisch profilierenden Firmen nicht mehr, wie noch die Gründungsfirmen, vorwiegend Mittelständische Unternehmen waren, für die Karl Schmidts Deutsche Werkstätten Hellerau typisch waren, sondern es erfüllte sich nun Naumanns und Muthesius' programmatische Forderung nach "künstlerischen Grofl­betrieben". Im Jahrbuch 1913 sind u.a. folgende Firmen bzw. zum Monopol strebende Konzerne mit Abbildungen vertreten:
   A.E.G.
   Bahlsen Keksfabrik
   Springer, Berlin
   Daimler AG
   Eau de Cologne Fabrik, Köln
   Delmenhorster Linoleum Fabrik Ankermarke
   Kaffee-Handels AG
   Mannesmannwerke
   Schuhgesellschaft Salamander
   Stahlwerkverband
   Kaufhaus des Westens, Berlin
   Warenhaus A.Wertheim, Berlin
   Rostocker Bank
Ebenfalls DWB-Mitglieder waren Bosch und Krupp.

 Der Deutsche Werkbund förderte die Einrichtung von Sateliten­organisationen im benachbarten Ausland  - gleichsam als kulturelle Vorhut. Zunächst wurde 1912 der Östereichische Werkbund gegründet, dem zwei Großindustrielle vorstanden. Dann 1913:
"Der Deutsche Werkbund ist in diesem Jahr auch über sein Stammgebiet Deutschland und Österreich hinausgewachsen: in der Schweiz hat sich eine Landesgruppe des Werkbundes gebildet ... und in Ungarn. ... Auch in Holland regen sich solche Triebe."(Jahresbericht 1912/13)(82). Im Jahresbericht 1913/14 heißt es ferner: "Auch Freunde und korrespondierende Mitglieder in anderen  - vozugsweise germanischen und skandinavischen -  Ländern hat dieses Jahr dem Werkbund gebracht: in Holland, in Belgien und Luxemburg, in Dänemark, Schweden und Norwegen, ebenso in Finnland. Das Ziel besonderer nationaler Gruppenbildung ist in in Aussicht zu nehmen."(83)
Die Auflistung entspricht exakt der imperialistischen Idee von einem anzustrebenden "Alldeutschland". "Diese Gründungen und Gründungsabsichten ... fügten sich lückenlos ein in die Mittel­europapläne des deutschen Imperialismus ... Deren Ziel lag in der Erweiterung der Wirtschafts- und Machtbasis Deutschlands durch Angliederung seiner Randstaaten ... Ein erweiterter supra­nationaler Werkbund hätte diese Pläne ergänzt und gefördert."(Junghanns)(84)

FINANZIERUNG

Finanziert wurde der DWB über Mitgliedsbeiträge, deren substantieller Anteil von den Mitgliedsfirmen und Verbänden getragen wurde. Dazu kamen später verstärkt Staatszuschüsse, so zum Beispiel für die große DWB-Ausstellung in Köln 1914.
Was die "Künstler" betrifft, so erwarben sie ihren Lebensunterhalt entweder (nebenher) als Staatsfunktionäre (Reichstagsabgeordneter, Regierungsrat, Professor) oder waren ganz von den Aufträgen der Industrie abhängig - ein unwiderstehlicher Selektionsdruck.

DAS VERHÄLTNIS ZUM STAAT

An dieser Stelle sei zunächst festgestellt, daß der "Vater des Werkbundes" Herrmann Muthesius, der in der "landläufigen" Architekturgeschichte zumeist schlicht als Architekt vorgestellt wird, Geheimer Regierungsrat im Preußischen Handelsministerium war. Darüberhinaus gibt der Jahresbericht 1913/14 explizite Nachricht von dem großen Interesse des Staates am Deutschen Werkbund. Im Anschluß an den Bericht über die Involvierung der Industrieverbände heißt es:
"Eine solche Weiterverzweigung der Werkbundarbeit drückt sich auch in seinem Verhältnis zu den Reichs- und Staatsbehörden aus. So haben für die Deutsche Werkbund Ausstellung in Köln folgende 6 Staaten und 13 Städte Zuschüsse bewilligt: Preußen, Sachsen ... Ebenso vereinigt der Ehrenausschuß für die Kölner Ausstellung die Staatssekretäre der Reichsämter, die Minister der preußischen Ministerien und die Ministerpräsidenten der Bundesstaaten."(85)
Besonders merkwürdig bzw. aufschlussreich ist das Interesse der folgenden 3 Ämter, deren Aufgabengebiet ja eigentlich ganz woan­ders liegt als bei der "Veredelung der gewerblichen Arbeit"(For­mulierung aus der Satzung) bzw. der Ästhetik und Qualität im Kunstgewerbe, auf das man den DWB in der heutigen Kunstge­schichtsschreibung so gerne reduziert:
"... auch hat die Werkbundausstellung der Förderung durch das Auswärtige Amt, das Reichsmarineamt und das Reichskolonialamt sich erfreuen dürfen."(86)
(Der Staat weis auch heute noch wozu er die Kultur pflegt.)  Staa­tsfunktionäre haben auch immmer wieder auf den Jahresver­sammlungen des DWB gesprochen. So auf der Jahresversammlung 1912 in Wien der Vertreter des Preußischen Ministeriums für Handel:
"Wo immer deutsche Arbeit im Wettbewerb mit dem Auslande sich im friedlichen Kampfe mißt, stehen der Werkbund selbst und seine Mitglieder in den vordersten Reihen und kämpft das gesammte deutsche Volk für das gleiche Endziel wie Sie unter Ihrem Schlachtruf!"(87) Weniger dramatisch würdigte ein Geheimer Oberregierungsrat Dr.Albert vom Reichsamt des Inneren "die vollendete Form als Helferin des Absatzes".(88)
(Man möchte fragen: Wie kann eine Form "vollendet" sein, die einem ständigen Modewechsel unterworfen ist? Wie kann darüberhinaus eine Form als in sich vollendet gelten, wenn sich ihr Sinn und Zweck erst in der Steigerung des Absatzes als dem entscheidenden Kriterium vollendet? Und warum bedarf es einer konzertierten Staatsaktion, um die Konsumenten von den vollendeten Qualitäten der neuen Produkte zu überzeugen?)

DIE KONKRETE ORGANISATORISCHE ARBEIT

Publizistische Tätigkeit und Propaganda:
Die Satzung des DWB nennt in dem Paragraphen über den Zweck des Bundes als konkrete Aktivität nur "Erziehung, Propaganda und geschlossene Stellungnahme"(89). (Allerdings gehörte eine Art Agenturtätigkeit, zwischen Künstlern und Industrieunternehmen vermittelnd, sowie eine gegenseitige Bevorzugung der Mitglieder bei der Auftragsvergabe von vorne herein zur ungeschriebenen Satzung des DWB.) Die Propaganda fand zunächst hauptsächlich durch programmatische Flugschriften statt, die aber zusätzlich in verschiedenen Zeitschriften Deutschlands und Östereichs abgedruckt wurden. Wohlgesonnen war dem DWB zum Beispiel die Zeischrift "Innendekoration". Naumann und Schumacher schrieben auch für den "Kunstwart", dessen Herausgeber Avenarius Gründer des Dürerbundes war, dem die beiden als Mitglieder angehörten. Naumann war zusätzlich Herausgeber einer vom DWB unabhängigen politischen Zeitschrift ("Die Hilfe"). Der DWB selbst gab keine eigene Zeitschrift heraus. Dies war bewußt kalkuliert, um nicht gezwungen zu sein, zu aktuellen, kontroversen Themen Stellung zu beziehen, was die Breite der Bewegung gefährdet hätte. Seit 1912 gab es jedoch die reich bebilderten Jahrbücher, in denen, neben Abbildungen von Leistungen und Produkten der Werkbundmitglieder, programmatische Aufsätze abgedruckt wurden.
Auflage:
Jahrbuch I :   10 000
Jahrbuch III:  12 000
Jahrbuch IV :  1914 ursprüngl. mit 20 000 projektiert.
Auflerdem wurden Bücher (bzw. Hefte) verlegt; z.B. Friedrich Naumann "Der Deutsche Stil" 1913 oder Peter Bruckmann "Deutscher Werkbund und Industrie" 1913.

Vertriebsgesellschaft und Warenzeichen:
Über die Propagierung von Ideen weit hinaus geht das sogenannte Deutsche Warenbuch.
"Der Deutsche Werkbund und der Dürerbund haben gemeinsam mit vier Händlerverbänden (...) eine >Dürerbund-Werkbund-Genossen­schaft< gegründet mit der Aufgabe des >Einkaufs, der Herstellung und Verkaufs von Wertarbeit für das deutsche Haus<, das heißt: ein Katalog >Das Deutsche Warenbuch< soll die beste Massenware vereinigen und diese Ware mit einer Wertmarke (>Dürerbund-Werkbund-Marke<) auszeichnen. ... Die Genossen dieser Dürerbund-Werkbund-Genossenschaft (z.Z. 160 Händler in Deutschland) verpflichten sich die Gegenstände dieses >Deutschen Warenbuches< an erster Stelle zu führen und zu empfehlen. Dieses >Deutsche Warenbuch< wird in einer Massenauflage von hundert-tausend Exemplaren verbreitet, auch durch den Buchhandel." (Jahresbericht 1913/14) (90)
Dieses Projekt vereinigt kartellartige Organisation mit massiver Werbung, unter Ausnützung der kulturellen Autorität und der Namen zweier angesehener kultureller Vereine als Markenzeichen.
In die gleiche Richtung zielt der Verkauf von DWB-Abzeichen für die Briefköpfe und Firmenzeichen der DWB-Mitglieder. Hier wird der Versuch deutlich, auf höherer Ebene das zu erreichen, was Peter Behrens für die A.E.G. geleistet hat: Die Etablierung einer Corporate Identity: Marke Deutschland. (vgl. Kapitel "Deutscher Nationalstil")
Ebenfalls in die gleiche Richtung zielt die Bestrebung einen internationalen Musterschutz zu etablieren. Notwendiges Pendant zur Kapitalinvestition in die "Bewußtseinsbildung" ist, dieselbe zum Privateigentum zu erklären und als solches zu schützen. Auf der Jahresversammlung 1913 wurde eine entsprechende Resolution angenommen:
"Der gesteigerte Export von Qualitätswaren ist eine innere Not­wendigkeit unserer weiteren volkswirtschaftlichen Entwicklung und es ist hierfür von höchster Bedeutung, daß die im inneren deutschen Markt geschlossen durchzubildende neue deutsche Geschmacksrichtung auf dem Weltmarkte zur Geltung gelangt. Es ist wünschenswert, im internationalen Rechte den formlosen Schutz Kunstgewerblicher und Mustererzeugnisse durchzuführen, wobei der Nachweis der Urheberschaft und der Priorität durch eine internationale Hinterlegungsstelle fakultativ gestattet werden könn­te." (91)
Der im DWB geschmiedete "Deutsche Stil" soll also exklusiv von der deutschen Wirtschaft genutzt werden. Wiederum wird die Wi­dersprüchlichkeit des DWB klar: Das in Beschlag nehmen geistig-kultureller Leistungen als exklusives Eigentum ist dem Geiste nach das genaue Gegenteil von kulturellem Austausch. Man soll nicht lernen, sondern kaufen. (Dieser Widerspruch ist ein Grundwiderspruch des Kapitalismus. Geistiges Eigentum und Musterschutz ist einerseits fortschrittshemmend (Muster­schutz wird oft sogar zur bewußten Retardierung von Innovation benutzt), andererseits Fortschrittsbedingung, das heißt, es wird überhaupt erst unter solch restriktiver Bedingung investiert. Dieser unlösbare Widerespruch findet in befristenem Eigentumschutz eine Kompro­missregelung.)

Als nächste große organisatorische Aufgabe setzte sich der Werk­bund folgerichtig die Einrichtung von "großen nach dem Ausland arbeitende(n) Vertriebs- und Verkehrsgesellschaften" (10. These Muthesius' auf der VII.Jahresversammlung 1914)(92). So schon Peter Bruckmann ein Jahr zuvor: "Es möge doch mit der Zeit er­möglicht werden, zunächst unter Staatsbeihilfe, gerade für unsere Kunstindustrie und für unser Kunstgewerbe im Auslande muster­gültige Verkaufsmagazine zu eröffnen ... und äußerst gefährlich ist es, wenn auf der einen Seite in einer Ausstellung ein großer Erfolg erzielt wird, und wenn dann zwei, drei oder vier Jahre lang und noch länger plötzlich gar keine Reklame mehr gemacht wird." (93)  Quintessenz: Werkbund = Reklame.
Die Selbstverständlichkeit mit der hier von Staatsbeihilfe ausgegangen wird, zeigt daß die Epoche des Liberalismus längst vorbei ist. Die Staats-Zuständigkeit bei der Erschließung aus­wärtiger Märkte ist ein alltägliches Zeichen des Imperialismus.

Museum, Fachhochschule und Ausstellungen:
Die Ausstellungen im In- und Ausland, die der DWB organisiert oder an deren Organisation er mitgewirkt hat, fällt natürlich auch unter die Rubrik Reklame. Und gerade diese wurden vom Staat als nationale Aufgabe angesehen und finanziell unterstützt. Das vom DWB mitbegründete >Museum für Kunst in Handel und Gewerbe< (Hagen i.W.) übernahm z.B. die Organisation der deutschen Kunst­gewerbeabteilung für die Weltausstellung in Gent 1913. Dasselbe Museum veranstaltete im DWB Geschäftsjahr 1913/14  22 verschiedene Ausstellungen, die 42mal gezeigt wurden. Im DWB-Jahresbericht 1913/14 heißt es:
"Aus der Tatsache, daß 14 Ausstellungen vom Ausland erbeten wurden, ergibt sich, wie groß die Bedeutung des Deutschen Mu­seums für die außerhalb Deutschlands liegenden Interessen unse­res Kunstgewerbes ist."(94)
(Mit Museen lassen sich kommerzielle Interessen so gut vertreten, da der Begriff des Museums einen über allen Kommerz erhabe­nen, von Interessen freien Raum suggeriert. Heute zieht man es deshalb vor, über das an Museen und Ausstellungen geknüpfte Interesse eher zu schweigen.)
Das besagte, vom DWB gegründte Museum veranstaltete 1910 in Hagen einen Schaufensterwettbewerb. Im gleichen Jahr gründete der DWB zusammen mit dem Verband Berliner Spezialgeschäfte und dem Verband für kaufmännisches Unterrichtswesen die >Höhere Fachschule für Dekorationskunst< in Berlin. (Herrmann Muthesius war 1.Vorsitzen­der des Kuratoriums.)
Im DWB-Jahresbericht heißt es dazu: "Es gilt bereits heute als unbestritten, das Berlin im Durchschnitt die bestdekorierten Schaufenster der Welt aufweist."(95) Ein Schaufensterwettbewerb wurde dann auch in Berlin durchgeführt mit dem Ergebnis einer Umsatzsteigerung, die an die Weihnachtszeit heranreicht. Auflerdem wurde ein Verpackungswettbewerb durchgeführt.
Die größte öffentliche Aktion des Werkbundes vor dem ersten Weltkrieg war die >Deutsche-Werkbund-Ausstellung Köln 1914<:
"Ein nationales Werk von internationaler Wirkung."(Jahresbericht 1913/14) (96) "Der Werkbund hatte erreicht stellvertretend für ganz Deutschland angesehen zu werden."(Junghanns) (97)
So war der DWB in Bezug auf die in Aussicht genommene Weltausstellung in San Francisco 1915 bereits so selbstbewußt, seine Mitwirkung unter folgende Bedingung zu stellen: "...daß die deutsche Abteilung möglichst in einem eigenen deutschen Hause oder ... wenigstens in einer gesonderten Abteilung eine einheitliche Geschlossenheit erhält, unter der künstlerischen Leitung und Verantwortung des Deutschen Werkbundes und unter der Voraus­setzung, daß die dafür nötige finanzielle Grundlage geschaffen wird."(Jahrbuch III)(98)     Zurück zu Köln 1914:  Laut Jahresbericht waren 118 Beamte für diese Ausstellung tätig gewesen und es sind 210 Vorträge in der Vorbereitungsphase gehalten worden. Für die Ausstellung selbst waren 200 Kongresse angemeldet. Auch die VII.DWB-Jahresversammlung fand im Rahmen der Ausstellung statt. Köln wurde als Ort gewählt, da so der DWB "Eintritt in ein Gebiet erhält, daß in Deutschland das kräftigste und reichste geworden ist. ... So wird sich für die Aussteller, für Künstler wie für Gewerbetreibende, eine besonders aussichtsvolle Gelegenheit ergeben, in Köln, dem Zentrum des industriellen Rheinland-Westfalen, an kaufkräftige und werkbund-willige Kreise heranzutreten."(Jahresbericht 1912/13) (99)
Die Ausstellung war ein großer Erfolg und die Resonanz im Aus­land die erhoffte respektzollende. Allerdings mußte die Ausstellung wegen des Krieges frühzeitig geschlossen werden.
Zum Schluß sah sich der Deutsche Werkbund also gezwungen seine Politik mit anderen Mitteln fortzusetzen und der Kunst-Stratege Naumann wurde nun auch ganz konkret zum Kriegsstrategen:
Von einer der unrühmlichsten Aktivitäten des DWB und seiner Protagonisten berichtet Junghanns:
"Einen Höhepunkt der Politisierung des Bundes bildete das Projekt eines "Hauses der Freundschaft" für Konstantinopel. Nach dem Scheitern der Blitzkriegstrategie an der Westfront hatten sich die Mitteleuropapläne des deutschen Imperialismus mehr dem Südosten zugewandt. Naumann bildete im Februar 1916 einen "Arbeitsausschuß für Mitteleuropa", der die einschlägigen politischen und militärischen Verhandlungen mit Östereich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei durch wissenschaftliche und praktische Vorarbeiten unterstützen sollte. In diesem Ausschuß saß, neben Monopolvertretern und dem Industriellen Robert Bosch, der Naumannschüler und Werkbundsekretär Jäckh, der plötzlich auch Vorsitzender einer Deutsch-Türkischen Vereinigung war. Eine praktische Vorarbeit im Sinne des Ausschusses und den Vorstellungen Naumanns bildete dieses "Haus der Freundschaft", das als ein deutsches Kulturzentrum in der halbkonolialen Türkei wirken und dort die deutsche Politik ideologisch untermauern sollte. Die finanziellen Mittel stiftete Robert Bosch, der Werkbund wurde für die Durchführung des Wettbewerbs eingespannt. Der Sultan wurde genötigt, entgegen den bestehenden Gesetzen ein Grundstück im historischen Stadtzentrum in der Nähe der berühmten Moscheen bereitzustellen, und Jäckh übernahm die Durchführung des Wettbewerbs unter zwölf vom Vorstand ausgewählten Werkbundarchitekten. ... Die Preise fielen auf neoklassizistische Entwürfe. ... Aber das Haus der Freundschaft geriet kaum über die Fundamente hinaus, als die Türkei kapitulierte und als Bundesgenosse ausschied."(100)
Und die Fragwürdigkeit derartiger Unternehmungen wurde von den Idealisten im DWB durchaus gesehen. So schreibt Poelzig 1916 an Gropius: "Meiner vollen Überzeugung nach benutzt Jäckh den Werkbund lediglich als Folie ... Was helfen uns all die zweifelhaften Beziehungen von J. zu den Reichsämtern, wenn bei ihnen nur gewaltsame Dinge herauskommen."(101)  Diese Beurteilung hielt Poelzig aber nicht davon ab an dem Wettbewerb selber teilzunehmen.

 

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